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Martina Viktorie Kopecká: Nach Glück streben in einer unvollkommenen Welt

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Martina Viktorie Kopecká ist seit 2020 eng mit dem Festival Meeting Brno verbunden, als sie dessen Präsidentin wurde. Und weil sie nicht nur in ihrer seelsorgerischen Arbeit tätig ist, sondern auch Menschen bei der Verarbeitung von Traumata unterstützt, hat sie für die Leser:innen des Meeting-Brno-Blogs einen kurzen Text über persönliche Traumata und solche im Zusammenhang mit dem Glauben verfasst. Kochen Sie sich einen Kaffee oder einen guten Tee, machen Sie es sich gemütlich und gönnen Sie sich einen Moment der Ruhe zum gemeinsamen Nachdenken.

„Wir stehen vor einem symbolischen Berg – einem Berg aus Schmerz, Leid und Traumata. Es liegt an uns allen zu erkennen, wann die Zeit gekommen ist, hinaufzusteigen, die Aussicht wahrzunehmen und Kraft aufzuwenden.“

Martina Viktorie Kopecká

Schmerz wirkt in unserem Leben weiter, selbst wenn die Ursache längst vergangen ist. Geschichten, Begegnungen und Verletzungen haben kein Ablaufdatum. Wenn das Leid tief geht, prägt es sich in unsere Gesichter, Körper und unser Nervensystem ein. Und schließlich auch in unsere Gene – jene, die unser Sein in gewisser Weise in die Zukunft tragen, sofern wir Nachkommen haben. So stehen wir Generation für Generation vor Aufgaben, die unsere Vorfahren nicht bewältigen konnten.

Mit Schmerz ist oft das Verlangen nach Gerechtigkeit verbunden. Die Vorstellung einer ausgleichenden Gerechtigkeit für jene, die Schmerz und Ungerechtigkeit erfahren, spendet Trost – ist aber keine dauerhafte Lösung, keine Verwandlung von Wunden in Narben. Der Wunsch nach Gerechtigkeit zieht sich durch unsere Gebete, wir legen ihn Gott immer wieder vor. Und doch stehen wir vor der schmerzlichen Frage nach einem gerechten Gott. Bedeutet Glaube nicht genau das: die Unerfassbarkeit Gottes auszuhalten, wie es Karl Rahner beschreibt?

Glaube stärkt die Resilienz

Der Glaube an den Sinn des Lebens, der religiöse Glaube, fördert eine besondere Form von Widerstandskraft – ohne Abstumpfung. Religion soll nicht Opium für das Volk sein, sondern helfen, die volle Schwere unserer eigenen Geschichte zu tragen. Unserer persönlichen Geschichte, die wir mitgestalten, aber auch der familiären, die durch uns weiterlebt – mit allem, was darin aufblüht, aber auch mit dem Schmerz, den wir vielleicht nie ganz verstehen, aber dennoch spüren.

Glaube und Spiritualität sind wie feine Fäden, die sich durch den Wandteppich unseres Schicksals ziehen. Glaube kann am seidenen Faden hängen und doch das Leben retten. Unsere spirituelle Dimension, die wir pflegen, nähren und kultivieren, kann wie ein Licht in der Dunkelheit aufscheinen, in die wir oft ohne Vorwarnung geraten.

Vergangene Geschichten bestimmen unsere Gegenwart

Die Traumata, mit denen wir konfrontiert sind, haben viele Ursachen. Doch sie treffen uns immer dort, wo wir besonders empfindsam sind – in unseren Grundbedürfnissen: Raum zum Leben, körperliche, seelische und geistige Nahrung, Unterstützung, Schutz und klare Grenzen. Besonders verletzlich sind wir in der Kindheit. Wir sind abhängig von jenen, die uns umgeben und unsere Bedürfnisse erfüllen – direkt oder symbolisch. So entsteht in uns das Vertrauen, dass die Welt ein bewohnbarer Ort sein kann.

Wenn unsere Bedürfnisse gestillt werden, begreifen wir, dass Glück auch in einer unvollkommenen Welt möglich ist – einer Welt, die nicht paradiesisch ist, aber lebenswert. Dieser innere Prozess verläuft unterschiedlich stark. Niemand ist unverwundbar, selbst nach einer scheinbar idealen Kindheit. Unser Bewusstsein, Unterbewusstsein und Unbewusstes sind so komplex miteinander verflochten, dass unsichtbare Fäden vergangener Geschichten bis heute wirken. Täglich begegnen wir Auslösern, die unsere inneren Spannungen berühren. Und manchmal stoßen wir auf Aufgaben, die uns überfordern.

Trauma betrifft auch Erwachsene. Immer wieder stellt uns das Leben vor neue Herausforderungen. Es ist verständlich, dass wir ihnen ausweichen möchten, doch das hilft uns nicht weiter. Unser Dasein verlangt nach der Erfüllung grundlegender Bedürfnisse. Gleichzeitig müssen wir innere Gegensätze integrieren: zart und stark sein können, sanft und in anderen Momenten durchsetzungsfähig.

Ein erfülltes Leben braucht Bewusstsein. Es verlangt von uns, hinzusehen, Probleme nicht zu verdrängen, sondern der Wahrheit ins Auge zu blicken. Wir sollen unsere Handlungskraft entwickeln – und Geduld. Und lernen, mit unserer Einzigartigkeit zu leben: Sie zu schätzen, aber auch zu erkennen, dass jeder Mensch gleich wertvoll ist. Es gibt keinen Grund, sich über andere zu erheben.

Glaube kann Trauma heilen

Unser geistliches Leben führt uns auf diesem Weg. Es schenkt uns inspirierende Geschichten – sei es aus der Bibel oder aus anderen heiligen Schriften. Pfarrerinnen und Pfarrer sind berufen, geistliche Begleiter zu sein, Hirtinnen und Hirten, Priesterinnen und Priester, die für die Seelen sorgen, vom Heil und von Gottes Barmherzigkeit erzählen. Sie begleiten uns auf dem Weg zur Menschlichkeit, zur Authentizität, zur spirituellen Fülle. Und diese kennt nicht nur Höhen und Ekstasen, sondern auch Abgründe, Dunkelheit und Schmerz. Auch Menschen im geistlichen Dienst sind von diesen Aufgaben nicht ausgenommen.

Unsere Welt des Glaubens, unser geistliches Zuhause in verschiedenen Kirchen, kann Traumata berühren und heilen – in einem geschützten Rahmen. Wir teilen unsere Geschichten nicht nur mit Geistlichen, sondern auch mit der Gemeinschaft. Schmerz tragen wir gemeinsam, bringen ihn im Gebet vor Gott, stellvertretend füreinander.

Doch auch in der Kirche kann es zu Verletzungen kommen. Ich meine nicht die harmlose Langeweile, die wir als Kinder in Gottesdiensten erleben und die vielleicht mit einem versprochenen Besuch in der Konditorei kompensiert wird. Ich meine den Schmerz durch Machtmissbrauch an einem Ort, an dem wir absolute Sicherheit erwarten. Dieses Trauma betrifft uns alle. Es sind nicht nur „ein paar Opfer“ – es ist der Schmerz der ganzen Kirche, über Jahrhunderte hinweg. Wir alle sind verletzlich: Kinder, Frauen, Männer, Junge und Alte. Der Mensch ist von Natur aus zerbrechlich. Doch gerade das macht uns empfänglich für die Gegenwart Gottes, fähig, Wunder zu erkennen.

Wir stehen vor einem inneren Berg. Einem Berg aus Schmerz, Leid und Traumata. Es liegt an uns allen zu erkennen, wann die Zeit gekommen ist, aufzubrechen, weiter zu gehen, die Aussicht zu suchen. Zu begleiten und begleitet zu werden. Es ist an der Zeit, in das Tal zu blicken und den nächsten Schritt zu wagen. Das Leiden in Kraft und Weisheit zu verwandeln, wie es Viktor Frankl beschreibt. Dieser Weg muss kein einsamer sein. Wir gehen ihn gemeinsam – um Glück und Segen zu erfahren. In dieser unvollkommenen Welt.